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Brief an Bundeskanzelrin Merkel und MP Malu Dreyer

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer,

die Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021 hat Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, insbesondere aber das Ahrtal, schwer getroffen. Das damit verbundene menschliche Leid ist unfassbar, ja nicht real beschreibbar. Die im Ahrtal angerichteten Schäden sind in ihrer Dimension unvorstellbar. Über rund 40 Flusskilometer ist die Zerstörung allgegenwärtig. Viele Menschen haben Angehörige, Freunde und Nachbarn verloren. Über 130 Tote sind zu beklagen, noch immer werden Menschen vermisst. Viele tausend Menschen haben ihr Haus, ihr Hab und Gut verloren; die langfristigen psychischen und finanziellen Folgen sind im Angesicht dieser Katastrophe noch gar nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund, von dem Sie sich ja bereits einen Eindruck verschafft haben, wenden wir uns im Interesse der Städte und Gemeinden des Ahrtals an Sie.

A. Schadensschätzung

Allein am kommunalen Eigentum der vier betroffenen Gebietskörperschaften ist nach einer ersten vorsichtigen Schätzung ein Schaden von circa fünf bis sechs Milliarden Euro entstanden. Hinzu werden in den kommenden Jahren erhebliche Einnahmeausfälle in den kommunalen Haushalten zu erwarten sein, da die wirtschaftliche Grundlage einer ganzen Region weitgehend zerstört wurde. Die Schäden an Bundes- und Landesstraßen sowie der Ahrtalbahn sind hier noch gar nicht erfasst und werden ebenfalls in die Milliarden gehen. Unter Berücksichtigung der weit über zehntausend betroffenen privaten Haushalte und tausende Betriebe muss daher mit einem Gesamtschaden im deutlich zweistelligen Milliardenbereich ausgegangen werden. Hiermit ist auch die Größenordnung einer erforderlichen finanziellen Wiederaufbauhilfe durch Bund, Europäische Union und Land beschrieben.

B. Perspektiven schaffen

Um den Menschen vor Ort Hoffnung und eine Perspektive zu geben, bitten wir dringend um um-fassende finanzielle Unterstützung, die kurzfristig zugesichert und bereitgestellt werden muss. Dar-über hinaus bedarf es für unsere Region dringend organisatorischer und gesetzgeberischer Unterstützung.

1. Anpassung des BauGB – Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen

Im ersten Schritt ist es unerlässlich, im Rahmen der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten Hilfestellung zu leisten und eine der Lage und den Erfordernissen im Katastrophengebiet angemessene Rechtsauslegung und -anwendung zu ermöglichen. Dies betrifft etwa die schnelle und umfassende Möglichkeit für die Kommunen, städtebauliche Sanierungsmaßnahmen gem. § 136 ff. Baugesetz-buch (BauGB) einzuleiten. Hier wäre kurzfristig zu prüfen, ob die Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte öffentlicher Aufgabenträger (§ 139 BauGB), die Pflichten der Gemeinden in der Vorbereitung (§ 140 BauGB) und die Pflichten zur vorbereitenden Untersuchung (§ 141 BauGB) für die im Katastrophengebiet Ahrtal gelegenen Gemeinden für einen Zeitraum von zehn Jahren ausgesetzt werden können. Dies ist unerlässlich, um im Rahmen des Wiederaufbaus erforderliche städtebauliche Veränderungen kurzfristig abzusichern. Auch gilt es zu verhindern, dass der Wiederaufbau der Region durch Spekulanten erschwert oder in Teilen unmöglich gemacht wird.

2. Übergeordneter Koordinierungsstab sowie personelle Unterstützung

Mit dem Wiederaufbau selbst werden die kommunalen Verwaltungsstrukturen bei weitem überfordert sein. Hier müssen zusätzliche Strukturen geschaffen und finanziert werden, die jeweils in Abhängigkeit von der Situation und Leistungsfähigkeit der kommunalen Verwaltung vor Ort auszugestalten sind. Unerlässlich ist ein übergeordneter Koordinierungsstab auf Landes- und Bundesebene, der den öffentlichen und privaten Wiederaufbau auf kommunaler Ebene begleitet und beratend unterstützt. Zudem muss durch diesen Koordinierungsstab sichergestellt werden, dass im Wiederaufbauprozess offenkundig werdende Erfordernisse gesetzgeberischer Anpassungen kommuniziert und vorangebracht werden.
Für die Umsetzung der Wiederaufbaumaßnahmen vor Ort wird die kommunale Ebene zudem personelle Unterstützung durch Fachleute des Bundes in erheblichem Umfang benötigen. Dies betrifft Architekten, Ingenieure, Planer und Gutachter aller Art. Unsere Verwaltungen sind auf die durch die Flutkatastrophe entstandenen enormen Herausforderungen personell nicht ausgerichtet. Im Übrigen werden wir sicher ganz oder teilweise durch kommunale Aufbaugesellschaften der jeweiligen Kommunen das operative Geschäft in privatrechtliche Strukturen führen, die ebenfalls der Unterstützung bedürfen.

3. Sonderwirtschaftszone Ahrtal

Für das Katastrophengebiet ist die Errichtung einer Art „Sonderwirtschaftszone Ahrtal“ erforder-lich. Diese muss insbesondere dazu dienen, Planungs- und Genehmigungsprozesse drastisch zu vereinfachen und zu verkürzen. Wir schlagen vor, den öffentlichen, gerade aber auch den privaten Wiederaufbau dadurch zu unterstützen, dass die Mehrwertsteuer im Katastrophengebiet für die kommenden Jahre ausgesetzt wird. Dies wäre insbesondere für die Branchen, die für den Wieder-aufbau dieser Region besonders relevant sind (Bauwirtschaft, Tourismus, Gastronomie/Hotellerie und Landwirtschaft) erforderlich. Besondere Abschreibungsmöglichkeiten müssen zudem für die Unternehmen im Ahrtal geschaffen werden, die infolge der Flutkatastrophe hohe Investitionen in ihre Betriebe zu tätigen haben.

4. Ver- und Entsorgungsinfrastruktur

Für die Ver- und Entsorgungsstruktur müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, dass die immensen Aufwendungen für die Abfallbeseitigung sowie den flächigen Neubau der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur (Strom-, Gas-, Wasser-, Abwasser- und Fernwärmenetze) nicht zu einem explosionsartigen Anstieg der kommunalen Gebühren, Beiträge bzw. Netzentgelte in der Region führen. Von erheblichen Vorteil wäre es, wahlweise großzügige und kurzfristige Abschrei-bungsmöglichkeiten vorzusehen oder sicherzustellen, dass die aus einem Wiederaufbaufonds fi-nanzierten Aufwendungen nicht in die Abgabenkalkulation einfließen müssen.

5. Pflichtversicherung für Elementarschäden

Existenziell ist für weite Teile des Ahrtals, aber auch für andere von ähnlichen Ereignissen bedroh-te Regionen, dass die bereits wiederholt diskutierte Pflichtversicherung für Elementarschäden kurz-fristig eingeführt wird. Der Wiederaufbau bzw. die wirtschaftliche Wiederbelebung der Region wird nur gelingen, wenn eine Versicherung von Gebäuden, Hausrat und Geschäftsinhalt gegen Elemen-tarschäden zukünftig Standard ist. Gerade für viele Gewerbebetriebe ist dies Voraussetzung dafür, dass eine für die Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit erforderliche Ausstattung mit Fremdkapi-tal überhaupt gelingen kann.

6. Unmittelbare Finanzhilfen für Private und Unternehmen sowie Zugang zum Kreditmarkt

Wichtig ist, dass betroffenen Privatpersonen und Unternehmen eine unmittelbare, nicht rückzahlbare Finanzielle Unterstützung durch den Staat erhalten. Daneben muss ein Zugang zum Kreditmarkt weiterhin möglich sein. Durch zu befürchtende Wertverluste von Grundstücken und Gebäuden im Ahrtal besteht die Gefahr, dass eine Besicherung von Krediten nach dem geltenden Regulierungsregime des Bankensektors nicht mehr möglich ist. Dies gilt gerade für Menschen, die in der Flutkatastrophe ihr Eigentum verloren haben, ggf. noch alte Kredite zu tilgen haben und nun einen Neuaufbau wagen und in der Region bleiben möchten. Hier wäre es dringend geboten, eine Besicherung der erforderlichen Kredite durch entsprechende Risikoübernahme oder ein separates Finanzierungsprogramm der KfW vorzunehmen.

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, sehr geehrte Frau Dreyer, uns ist bewusst, dass die von uns erbetene Unterstützung finanziell, organisatorisch und gesetzgeberisch in der jüngeren deutschen Geschichte ohne Beispiel ist. Leider gilt dies aber auch für die Flutkatastrophe, die das Ahrtal in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli heimgesucht hat. Sie beide haben sich dankenswerter Weise sehr zeitnah ein eigenes Bild von der Lage und der umfassenden Zerstörung vor Ort gemacht. Daher hoffen wir sehr, dass Sie unseren Hilferuf aus eigener Anschauung nachvollziehen und die Not der Menschen, aber auch der Kommunen vor Ort ermessen können.

Dass wir beim Aufbau des Ahrtals Fragen des Hochwasserschutzes neu denken und auch Fragen des Katastrophenschutzes noch einmal neu bewerten müssen, steht außer Frage. Aktuell aber geht es um die Perspektiven für einst attraktive Städte und Gemeinden des Ahrtals und die hier lebenden Menschen. Insoweit unterstützen wir im Wesentlichen auch die im Schreiben von Kollegin Cornelia Weigand und den Ortsbürgermeistern der Verbandsgemeinde Altenahr im Schreiben vom 31.07.2021 vorgetragenen Anliegen.

Wir, die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen, die Verwaltungen und auch die politisch Handelnden vor Ort, sind unbedingt gewillt, das Ahrtal wieder neu zu bauen und unsere Heimat in eine gute Zukunft zu führen. Dafür werden wir uns in den nächsten Jahren mit ganzer Kraft und mit Sicherheit über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus einsetzen.

Ohne die erbetene Unterstützung werden wir es gleichwohl nicht schaffen können und daher bitten wir Sie inständig um Ihre Hilfe.
Bitte helfen Sie uns! Wir verlassen uns auf Sie.

Mit herzlichen Grüßen

Guido Orthen
Bürgermeister der Stadt
Bad Neuenahr-Ahrweiler
Andreas Geron
Bürgermeister der
Stadt Sinzig
Guido Nisius
Bürgermeister der
Verbandsgemeinde Adenau